Neues Selbstbewusstsein

Interview mit Mo Asumang

„Afrika, das war ein Meilenstein in meiner Selbstfindung“, sagt Mo Asumang | © Getty Images | Andreas Rentz
© Getty Images | Andreas Rentz
„Afrika, das war ein Meilenstein in meiner Selbstfindung“, sagt Mo Asumang

Zu Selbstbewusstsein findet man oft erst in der zweiten Lebenshälfte. Die Geschichten dieser fünf Frauen machen Mut, zu sich und seinen Ecken und Kanten zu stehen. Teil 1: Moderatorin Mo Asumang

Die Suche nach dem Selbst? Dafür ging Mo Asumang einen langen und mutigen Weg: Nach einer Morddrohung machte sie sich auf, Neonazis zu treffen, Angehörige des Ku-Klux-Klans; sie chattete auf Nazi-Plattformen. Was sie dabei erlebte, schrieb sie im Buch „Mo und die Arier. Allein unter Rassisten und Neonazis“ auf.

DONNA: Sie sind die Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen. Wie schwierig war es für Sie, eine Identität zu finden?
Mo Asumang: Sehr. Es war von Anfang an ein Kampf, der immer mit der Hautfarbe zu tun hatte. Sie war das Merkmal, das jeder sofort sah und das es erlaubte, mich in eine Schublade zu stecken, auf der stand „nicht deutsch“. Ich war ständig dabei, herauszufinden, „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie anders sind?
Schon als Kleinkind. Ich kam mit fünf Wochen ins Kinderheim, dann wieder zu meinen Eltern, die sich aber trennten, als ich drei war. Mein Vater ging nach London, meine Mutter nach New York, wo ich eine Weile mit ihr lebte. Aber ich fühlte mich da nicht geborgen. Also zog ich zur Großmutter nach Kassel. Sie passte auf mich auf, verteidigte mich gegen alle Angriffe. Lauter kleine Nadelstiche, die ihre Spuren hinterließen.

Angriffe welcher Art?
Oft waren die gar nicht böse gemeint, sondern nur seltsam. Etwa die ältere Frau, die mir eine Banane zusteckte, weil sie dachte, ich käme ja aus Afrika und hätte Hunger.

Wie sind Sie damit umgegangen?
Mit den Jahren ging das besser, als Kind nicht so gut, da tat es oft einfach weh. Es hat mir als Heranwachsende auch Stück für Stück mein Selbstbewusstsein geraubt.

Dabei moderierten Sie bald erfolgreich eine Erotiksendung.
Dafür muss man doch selbstbewusst sein! Und jeder sah auch eine toughe, selbstbewusste Frau. Die war ich aber nicht! Ich konnte zwar vor vielen Leuten stehen, aber das heißt nicht, dass ich meine Identität gefunden hatte. Ich kam stets an dieselben Grenzen, konnte mich nicht selbstbestimmt weiterentwickeln. Ständig wurde das Thema Herkunft an mich herangetragen. Dabei war ich bis Ende 20 nie in Afrika gewesen!

Bis Sie dann doch hinfuhren. Wieso?
Oma starb 1991 und ich verlor einen Halt. Später erfuhr ich noch, dass sie bei der SS gewesen war, als Schreibkraft. Aber ohne sie kam der Wunsch auf, meine anderen Wurzeln kennenzulernen, dieses diffuse Afrikanische. Davor hatte ich aber auch große Angst.

Wieso das?
Ghana war bisher mein Joker gewesen. Es war wie ein Rettungsanker, zu denken: Wenn du nirgends hinpasst – dann aber dort! Dann dämmerte mir: Werde ich da auch nicht akzeptiert, bin ich geliefert! Ich flog also nicht direkt hin, sondern fuhr mit der Mitfahrzentrale im Auto zunächst bis Casablanca.

Und dann?
Überlegte ich vier Tage, ob ich mich traue – dann kaufte ich mir ein Flugticket. Als ich aus dem Flugzeug stieg, setzte ich mich aufs Rollfeld und küsste den Boden.

Hat Afrika Sie verändert?
Sehr! Ich lebte drei Wochen bei einer Tante, die mich zu Ritualen mitnahm. Und mir ein erstaunliches Prinzip nahebrachte, demzufolge jeder in Ghana zur erweiterten Familie gehört. Jede Tante oder Oma nennst du Mutter, jeden Onkel auch Vater. Das wird da so gelebt! Für mich war das eine ganz neue Zugehörigkeit. Und es war erstaunlich zu sehen, dass dort Menschen die Straßenseite wechseln, um zu mir zu kommen – und nicht, um vor mir wegzulaufen, wie hier oft. Afrika, das war ein Meilenstein in meiner Selbstfindung.

Sie wussten danach, wer Sie sind?
Ja! Ich habe dort erfahren, dass ich mich nicht zwischen zwei Welten entscheiden muss. Ich kann beides sein, deutsch und ghanaisch. Ich bin ein Brückenbauer und diese Fähigkeit bereichert mich. Das zu erkennen, war unglaublich toll.

Sie bauen diese Brücken auf sehr mutige Art: Sie suchen Rechtsradikale auf, konfrontieren Sie. Wieso tun Sie sich das an?
Auslöser war 2001 das Lied einer Neonazi-Band mit der Zeile: „Diese Kugel ist für dich, Mo Asumang!“ Mit dieser Morddrohung, die mir ungeheure Angst machte, kam der Gedanke: Jetzt musst du was tun, jetzt kannst du dich nicht mehr einfach ausprobieren. Das hieß auch: ab da endlich mit Papa und Mama sprechen.

Ihre Herkunft war vorher nie Thema?
Kaum. Was Mama dann erzählte, war entscheidend. Etwa, dass auch sie oft geweint hatte, wenn Leute fragten, wie sie einen Schwarzen lieben könne. Dass meine Mutter weinte, überraschte mich. Dieses Thema kannte doch nur ich, ich war doch das Opfer! In diese Rolle habe ich mich ja lange auch bewusst begeben. Das ist jetzt vorbei!

Auch durch die Auseinandersetzung mit den Nazis?
Ja. Sie hat mich darin bestätigt, wer ich bin. Für diese Treffen musste ich meine Angst überwinden, sagen: Hier geh ich nicht weg! Ich wurde diejenige, die hinschaute, fragte. Früher habe ich mich beobachtet gefühlt, beurteilt. Mein Selbstwertgefühl wurde von außen gesteuert. Nun habe ich andere beurteilt – das hat mir Kraft gegeben.

Können Sie das konkreter sagen?
Ich war die Aktive, habe diesen Leuten bewusst meine Werte entgegengesetzt. Ich war offen statt ausgrenzend, respektvoll statt hasserfüllt. Dass mein Gegenüber das nicht erwidern konnte, war jedes- mal eine Herausforderung, die mir guttat. Es klingt paradox, aber: Die Nazis haben mir geholfen, mein Selbstbewusstsein aufzubauen. 

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