Persönlichkeiten

Ute Lemper: „Ich bin dabei, mich als Frau neu zu entdecken“

Ute Lemper mit roten Haaren und schwarzen Outfit in einer Portätaufnahme. | © Roberto Serra - Iguana Press, Getty Images
© Roberto Serra - Iguana Press, Getty Images
Sie sind ja gar nicht mehr blond! Warum sie jetzt rote Haare trägt, verrät Ute Lemper im Interview.

Sie hat als Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin Weltkarriere gemacht, lebt in New York und ist Mutter von vier Kindern. Jetzt hat Ute Lemper, ein neues Ziel: sich mehr auf sich selbst zu konzentrieren. DONNA traf sie zum Lebenslinien-Interview.

Sie ist schon da, wartet bereits in der Lobby des Kölner Hotels, ganz ohne Allüren: Ute Lemper – groß, sehr schmal, mit schwarzer Lederjacke und Marlenehose. Um es bequem zu haben, zieht sie die langen Beine im Sessel an, nippt am Kaffee. Auf der Bühne ein Vulkan, ist sie im Interview eher scheu, zurückhaltend, aber sehr offen.

DONNA: Frau Lemper, für Ihr Album „The 9 Secrets“ haben Sie mit dem Autor Paulo Coelho gearbeitet. Wie kam es dazu?
Ute Lemper: Ich hatte im Sommer 2013 sein Buch „Manuskripte von Accra“ gelesen, das mich sehr bewegt hat. Über einen brasilianischen Journalisten entspann sich dann eine Konversation mit Coelho und ich schlug ihm ein gemeinsames Projekt vor. Ich wollte seine Texte unbedingt vertonen und in Liedform bringen. Er sagte: „Dann mach mal.“ Und so machte ich! Nach dem Schreiben habe ich die Lieder mit Musikern aus der ganzen Welt aufgenommen, die alle ihre eigene Note draufgesetzt haben. Darauf bin ich sehr stolz.

Sie komponieren bereits seit 16 Jahren. Woher kommen die Melodien?
Aus allen Ecken des Lebens, aus meiner Seele. Ich sitze am Klavier und spiele mir Akkorde vor, meist ein paar Stunden lang, wenn die Kinder in der Schule sind. Ich liebe es zu improvisieren, es ist eine Art magisches Puzzlespiel, das sich zusammenfügt.

Für Ihre Konzerte sind Sie nun wieder in der alten Heimat. Wie ist das?
Gut. Ich liebe es, Deutsch zu sprechen und vor allem, meine ganze Familie dabeizuhaben. Vor ein paar Wochen haben wir meine Eltern in Münster besucht und eine Radtour zu meiner alten Schule gemacht.

Zu Ihrer alten Schule?
Die wollte ich den Kindern zeigen, ein Gebäude wie bei Harry Potter, eine Mädchenschule. Meine Freundinnen gingen damals alle dorthin, also ging ich mit. Es hat mich allerdings schnell genervt, dass die Jungs fehlten. Andererseits konnte ich mich so besser auf die Schule konzentrieren. Ich hatte damals unglaublich viel Blödsinn im Kopf ...

Zwischen Ihrem Leben im weltläufigen New York und dem katholischen Münster liegen Welten. Wollten Sie schon früh weg?
Ja. Ich war ein rebellischer Teenager und wusste früh, dass ich ausbrechen wollte. Für mich war diese Welt sehr klein, provinziell, gezeichnet von Intoleranz gegenüber allem, was jenseits der Norm lag. Ich wusste, so kann ich nicht leben. Mir war klar: Die Menschen sind viel interessanter und ich wesentlich neugieriger und leidenschaftlicher, als dort erlaubt war. Ich hatte das Gefühl zu platzen, da war ein unbändiges Tier in mir!

Und das wollte raus?
Ja. Erst fand es Zuflucht in der Musik. Aber ich wusste, ich muss mir später ein Leben bauen, wo dieses Tier auch wirklich richtig leben kann, in Freiheit.

War Musik zu Hause schon Thema?
Papa spielte ziemlich viele Instrumente: Klavier, Gitarre, Violine, Flöte. Er brachte mir Jazzmusik nahe, hatte alle LPs von Sarah Vaughan und Ella Fitzgerald im Regal. Er hatte ein klares musikalisches Talent, war aber Banker, meine Mutter ja auch. Beide lernten sich in der Bank kennen und haben auf Festen immer gemeinsam musiziert. Mama sang auch lange im Opernchor.

Was für Musik haben Sie gemacht?
Als Teenager hatte ich schon diverse Bands, darunter eine Jazzband, mit vielen männlichen Musikern, die alle zehn Jahre älter waren. Das hat meinen Eltern nicht so behagt. Sie waren sehr konservativ. Künstlersein war ein absolutes Tabu für sie. Als ich diesen Wunsch äußerte, sagten sie: „Mach erst mal eine Banklehre.“ Aber da war’s schon zu spät, da habe ich dann nicht mehr auf sie gehört. In den letzten drei Sommern der Oberstufe fuhr ich immer nach Salzburg und besuchte dort Musical- und Theater-Seminare, die mich sehr in meinem Wunsch bestärkten.

Gleich nach dem Abi bewarben Sie sich an allen Schauspielschulen.
Das Wiener Max Reinhardt Seminar war die erste Schule. Ich sprach die Julia vor, Shakespeare, und wurde gleich genommen. Dort traf ich Hannes Jaenicke wieder, den ich in Salzburg kennengelernt hatte und der ein guter Freund wurde. Wir haben uns nie aus den Augen verloren.

Was hat sie beide verbunden?
Er ist auch so ein kleiner Rebell wie ich, hat das nie abgelegt. Und wir hatten immer viel Spaß miteinander. Wir zogen gemeinsam um die Häuser oder tuckerten mit Hannes’ alter Ente durch die Stadt, hörten Al Jarreau und sangen und kreischten dazu.

Wie ging es für Sie nach der Schauspielschule weiter?
Ich habe die Schule gar nicht abgeschlossen, weil mich Peter Weck ans Theater an der Wien holte. Ihn treffe ich übrigens morgen wieder, er kommt in mein Konzert. Wir haben uns seit 1981 nicht gesehen!

Peter Weck produzierte zu dieser Zeit „Cats“ in Wien. Ein Musical in diesem Stil hatte es bis dahin nicht gegeben.
Das war die erste große Musical- Phase im deutschen Raum. Die liefen zuvor nur an den Theatern in der Operettensparte, etwa „Anatevka“ oder „My Fair Lady“. Nun kam Andrew Lloyd Webber mit seinen Shows. Fast das ganze Team für „Cats“ wurde aus London engagiert, dazu 10 Prozent deutschsprachige Künstler. Ich war die Einzige, die singen und tanzen musste, Angelika Milster als „Grisabella“ sang nur. Ich ging also zur Schule und machte mich ab 17 Uhr für die Aufführung warm. Es gab acht Shows in der Woche, ein Knochenjob. Ich hatte Entzündungen in allen Gelenken von der akrobatischen Tanzerei. Ein Jahr hielt ich durch – dann war ich völlig fertig.

Machten Sie danach Pause?
Dazu hatte ich keine Gelegenheit, denn Helmut Baumann vom Theater des Westens wollte mich als Peter Pan. Also sagte ich mir: „Vergiss den Abschluss. Was zählt, ist Berufserfahrung.“ Berlin 1984 war wie Sonnenaufgang für mich, eine so intensive Szene von Menschen, Paradiesvögeln! Die schwule Community war inspirierend und liebenswert. Gleichzeitig waren das die Jahre, in denen Aids aufkam. Fast alle meine wunderbaren Freunde starben in den nächsten zehn Jahren daran. Das ist so bitter.

Wie wegweisend war diese Berliner Zeit für Sie?
Sehr. Ich lernte Jürgen Knieper kennen, der die Musik zu „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders schrieb. Er lehrte mich all die Kurt-Weill-Lieder, die ich auf Platte aufnahm, fuhr mit mir ans Berliner Ensemble im Osten. Dort saßen wir mit den Künstlern in der Kantine, es gab nur Bockwürste und Bier. Und es ging immer weiter, nie Stillstand. Bäng, bäng, Schlag auf Schlag. Erst kam Stuttgart, wo ich Jérôme Savary traf, dann Lyon, Düsseldorf, Paris.

Theatermacher Savary holte Sie als Sally Bowles in „Cabaret“ nach Paris. Sie nahmen die Stadt im Sturm – mit 23. Was war Ihr Geheimnis: dass Sie singen und tanzen konnten?
Tanz war zwar immer dabei, aber mein Triumphticket war die Stimme. Ich hatte schon immer eine wahre Trompete. Und endlos Power auch. Sängerin war ich immer schon viel mehr als Tänzerin.

Sie erhielten in Frankreich als erste Deutsche den „Prix Molière“. Was für ein Erfolg!
Aber da war auch unglaublich viel Druck, es ging ja alles so schnell. Plötzlich war ich die kleine Deutsche, die in die Fußstapfen von Marlene Dietrich und Romy Schneider treten sollte. Ich war völlig überfordert, mental und körperlich. Die Stimmbänder hatten kleine Knoten drauf durchs tägliche Singen, die Knie waren früh kaputt, die Füße auch. Ich hatte eine große Unsicherheit in mir. Ich wollte ja nur spielen, wusste gar nicht: Wer bin ich selber denn? Aber man hat mich das gar nicht entdecken lassen. Ich durfte lange nicht Mensch sein, hatte keinen Raum, mich zu entwickeln.

Inwiefern?
Ich ließ mich in Deutschland in eine große Show pressen, „Ute Lemper in Concert“. Doch ich war damals in erster Linie Schauspielerin und noch keine wirkliche Show-Persönlichkeit und somit eigentlich nicht reif für diese Herausforderung. Gott sei Dank hatte ich parallel zu diesen Ereignissen in Deutschland internationale Erfolge durch meine Alben und war von der deutschen Kritik unabhängig. Meine Chanson-Karriere hatte damit nichts zu tun und so konnte ich mich von dieser Erfahrung freimachen.

Sie drehten bald auch Filme, vor allem in Frankreich. Ikonisch ist Ihr Auftritt in Robert Altmans „Prêt-à- Porter“: Sie nackt und hochschwanger auf dem Laufsteg. Sehr mutig!
Wieso denn? Ich hatte einen wunderschönen schwangeren Körper. Die Brust war durch Blumen verdeckt, man sah keine Scham. Nur diesen Acht-Monats-Riesenbauch.

Sie sind heute Mutter von vier Kindern. War Max, das erste von zwei Kindern mit Ihrem ersten Mann, ein großer Einschnitt im Leben?
Absolut. Ich verstand zum ersten Mal, was es bedeutet, müde zu sein! Und es schien, als wolle mein Körper das Schwangersein gar nicht mehr loslassen. Meine Pfunde gingen nicht weg, auch die Milch blieb. Wir lebten damals in Paris, ich spielte weiter Theater. Bald kam Stella, unsere Tochter, und wir zogen 1997 nach London, wo ich achtmal die Woche im Musical „Chicago“ auftrat. Das war sehr anstrengend, auch wenn mein Mann sich viel gekümmert hat.

Trotzdem trennten Sie sich 2000 von David Tabatsky. Warum?
Er konnte es nicht verkraften, dass ich Karriere machte, alles auf mich fokussiert war. Ich lernte ihn 1993 in Berlin kennen, wo er als Comedian auftrat. Wir zogen nach Paris, aber dort war er als Amerikaner nicht glücklich, später in New York auch nicht. Für David ist das Glas stets halb leer, er ist nie zufrieden. Darin sind wir zu gegensätzlich. Und dann verliebte ich mich in Todd, einen meiner Musiker.

Der ein rundum positiver Mensch ist?
Nee, auch nicht immer! Aber er ist kein passiv-aggressiver Schweiger, sondern lässt alles raus. Mit Todd fliegen oft die Fetzen und dann vertragen wir uns hinterher immer wieder. Er ist wie ich ein offenes Buch.

Mit Todd Turkisher haben Sie zwei weitere Kinder. Wie bekommen Sie das Patchworkleben hin?
Der erste Papa lebte ja immer um die Ecke, wir zogen die beiden Ältesten gemeinsam groß. Auch unsere zwei Jüngsten profitieren von dem bunten Leben, die Großen sind unheimlich lieb mit ihnen. Die beiden Kleinen, Julian und Jonas, habe ich ja erst mit 42 und 48 bekommen, alles ohne Probleme und auf natürlichem Weg empfangen. Ich habe mich bei jedem Kind fitter als vorher gefühlt, mein Körper arbeitete jedes Mal besser mit, fast als würde er sich an alles erinnern.

Sie haben zweimal ganz kurz vor der Geburt geheiratet...
Das war eigentlich Unfug. Ich hätte weder das erste noch das zweite Mal heiraten müssen. Wer braucht schon einen Schein! Das waren wohl die Hormone. Die letzte Hochzeit war ein schönes Fest, aber Todd und ich lebten da schon elf Jahre wie Mann und Frau. Im Alltag hat sich nichts verändert, ich nannte ihn schon vorher immer meinen „husband“.

Sowohl Ihr Ex als auch Ihr aktueller Ehemann sind jüdischen Glaubens.
Und viele meiner Boyfriends waren es auch! Ich mag den melancholischen Witz, der vielen jüdischen Männern eigen ist.

Prägt Religion Ihr Leben?
Kaum. Wir sind nicht religiös, feiern nur die großen Feste aus Juden- und Christentum, die aber beide. Die Kinder stellen aber viele Fragen und können selber wählen, welche Religion ihnen zusagt.

Das Thema ist auch in Ihren Programmen präsent, Sie treten oft in Israel auf, wurden dort auch geehrt. Ist das eine Art Mission?
Es hat mich bereits als junge Frau beschäftigt, was es heißt, aus dem Land der Täter zu sein. Als meine Karriere losging, wurde ich international oft mit dem Thema konfrontiert. Damals hatten die Deutschen noch mit dem Stigma der Nazis zu kämpfen. Als ich 1987 mit Liedern von Kurt Weill in Israel auftrat, war das Publikum voll mit Holocaust-Überlebenden. Sie kannten die Lieder, sangen mit, kamen zu mir in die Garderobe, die KZ-Nummern auf den Arm tätowiert. Sie sagten: „Danke, dass Sie uns diese Musik wiederbringen!“ Das war überwältigend und lässt mich bis heute nicht los. So heißt mein allerneuestes Projekt auch „Lieder für die Ewigkeit“ – Musik, die in den KZs geschrieben wurde.

Auch damit werden Sie viel unterwegs sein. Ist das nicht mühsam?
Doch. Vor allem ist es Mist mit den Kindern. Dann sitze ich im Flieger und denke: Kloß runterschlucken! Aber das ist mein Job. Wenn ich zurückkomme, holen mich alle ab und ich steige zu Hause gleich in den Jogginganzug und bin für die Kinder da. Der einzige Trost unterwegs ist, dass ich diese Zeit für mich habe. Ich liebe es, alleine zu sein. Ich finde das einen unglaublich bereichernden Zustand. Überhaupt: Als eher stiller Mensch tue ich mich mit Smalltalk ziemlich schwer. Ich möchte eine tiefere Verbindung zu Leuten aufbauen. Deswegen besteht mein Freundeskreis auch aus einigen wenigen Menschen, die mir nah sind.

Wie entspannen Sie?
Früher habe ich viel gemalt, mache das aber nicht mehr, seit ich Musik schreibe. Mit den Kindern hat man nur wenig Zeit für sich, da muss man sich entscheiden. Und ich spiele Tennis, Todd hat mich dazu gebracht. Meine Technik ist fraglich, aber es macht Spaß! Wir haben einen kleinen Tennisplatz an unserem Landhaus bei New York. Dort verbringen wir alle miteinander die Sommer. Ich genieße das sehr, bin eine große Glucke.

Wie denken Sie übers Älterwerden?
Nun, Altern ist Realität. Davor möchte ich gar nicht weglaufen – auch weil das Innerste sich gerade wunderbar anfühlt. Ich bin mit 50 noch mal aufgewacht, mit allen Sinnen. Habe eine neue Selbstsicherheit, Spiritualität, eine neue Fähigkeit zu kommunizieren und zu verstehen. Nachdem ich so lange vor allem Mutter war, bin ich gerade dabei, mich als Frau neu zu entdecken. Das genieße ich in vollen Zügen. Gut, die Fassade fällt etwas zusammen. Aber ich fühle mich so schön wie mit 30!

Sie sind nicht mehr blond!
Schon seit zwei Jahren nicht mehr. Ich mag rot bei mir lieber, das bin viel eher ich. Früher war ich auch dunkel. Eigentlich bin ich nie eine richtige Blondine gewesen. Mein Mann fragt zwar: „Wann wirst du wieder blond?“ Aber ich sage: „Blondinen gibt’s doch überall!“

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Interview: Annette Schmiede 

Von Münster nach New York, erfolgreiche Musikerin, Mutter von vier Kindern - Ute Lempers Leben verlief alles andere als ruhig – im Interview erzählt sie von ihrem aufregenden Lebensweg.
 | © Roberto Serra - Iguana Press, Getty Images
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