Probiotika galten lange als Schaumschläger. Dabei zeigen Studien, dass die Keime, mit denen Joghurts angereichert werden, wirklich wirken – und etwa für eine gesunde Darmflora sorgen.
Ein Löffel für die Verdauung, ein Löffel, um das Immunsystem zu stärken, ein Löffel zur Allergie-Abwehr … Und das alles soll ein Joghurt aus dem Supermarkt liefern – nur weil ihn der Hersteller mit speziellen Bakterienkulturen anreichert? Klingt wie ein aufgeblasenes Werbeversprechen, hinter dem sich nichts als heiße Luft verbirgt.
Fehlanzeige! Tatsächlich stammen diese Aussagen aus der aktuellen medizinischen Literatur. So gelang an der Technischen Universität München zum Beispiel jüngst der Nachweis, dass einige probiotische Bakterien Entzündungen im Verdauungstrakt lindern – eine gute Nachricht für Menschen, die an chronischen Darmerkrankungen leiden. Laut einer Studie der Universität Mailand fördern Probiotika die Bildung von Grippeantikörpern. Und beim Reizdarmsyndrom RDS haben es die Milchsäurebakterien sogar bis in die medizinischen Leitlinien geschafft. Ein großer Erfolg – denn damit werden sie Ärzten quasi zur Therapie empfohlen.
Die wachsende Anerkennung für die probiotischen Zusätze in Milchprodukten und Arzneien hat zugleich den Blick auf das Organ gelenkt, in dem diese Keime millionenfach tätig werden – unseren Darm. „In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass das Immunsystem des Darms, die Darmflora und die Ernährung wesentlich an der Entstehung verschiedener Krankheiten beteiligt sind“, erklärt der Ernährungsmediziner Prof. Stephan Bischoff von der Universität Hohenheim. Im Mittelpunkt des Interesses stehen jene rund 100 Billionen Bakterien, die das Organ auskleiden wie eine zweite Haut. Aufgeteilt in 300 bis 1000 unterschiedliche Bakterienarten regulieren sie die Reifung und Anpassung von Immunzellen – und unterstützen unsere Körperabwehr, beispielsweise gegen den Angriff von Grippeviren. Das zeigte eine im Juli 2012 veröffentlichte Untersuchung des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Freiburg.
Das Erfolgsrezept der via Joghurt zugeführten lebenden Extrabakterien besteht nun darin, dass sie ihre mikrobiellen Kollegen im Darm unterstützen. Haben diese säurefesten Probiotika (griech.: „für das Leben“) die Magenpassage überstanden, lassen sie sich zunächst im Dickdarm nieder. Dort halten die Joghurtbakterien Krankheitserreger in Schach, regen die Produktion körpereigener Antibiotika an und regeln die Verdauung. Vor allem aber sorgen die neuen Untermieter dafür, dass sich die bereits vorhandenen nützlichen Darmbakterien explosionsartig vermehren.
Hand in Hand treten die mikrobiellen Kanalarbeiter etlichen Krankheiten entgegen, die im Verdauungstrakt wurzeln. Bereits seit einigen Jahren bekannt ist die Tatsache, dass probiotische Laktobazillen und Bifidobakterien Durchfälle lindern, die zum Beispiel nach der Einnahme von Antibiotika häufig vorkommen. Auch im gegenteiligen Fall, also bei träger Verdauung, machen sich die guten Keime nützlich. Laut einer Studie verkürzen die Bakterien nach 14-tägiger Einnahme die Nahrungspassage im Magen-Darm-Trakt um 40 Prozent. Andere Untersuchungen zeigen Erfolge bei Neurodermitis, stressbedingten Infekten oder Harnwegsentzündungen. Selbst Ängste und Depressionen sollen die Bakterien aus dem Joghurtbecher lindern. Das lässt zumindest eine Tierstudie des University College Cork in Irland von 2011 vermuten. Bei Mäusen, die mit Milchsäurebakterien namens Lactobacillus rhamnosus gefüttert wurden, änderte sich die Hirnchemie messbar. Die Nager wiesen weniger Stresshormone im Blut auf. Außerdem hielten sie sich häufiger als sonst in den offenen Bereichen eines Labyrinths auf – ein Zeichen für verminderte Ängstlichkeit. Ob probiotische Bakterien auch die Hirnchemie von Menschen beeinflussen, ist damit zwar noch nicht bewiesen, aber es gibt Hinweise darauf.
Eine lupenreine Erfolgsgeschichte also? Leider nicht ganz. Denn die gesundheitlichen Pluspunkte, die in Studien nachgewiesen wurden, beziehen sich ausschließlich auf den jeweils getesteten Bakterienstamm. Dass ein verwandter probiotischer Keim ebenfalls Reizdarm lindert oder die Abwehrkräfte stärkt, ist längst nicht gesagt. Deshalb sollte die Wahl des probiotischen Joghurts, Drinks oder Apotheken-Präparats davon abhängen, mit welchen Symptomen man zu tun hat. Normalerweise schreiben Hersteller auf die Verpackung, mit welchen Kulturen sie ein Lebensmittel angereichert haben. Wichtig zu wissen: Wer sich rundum wohl und fit fühlt, kann sich die Kosten für aufgepeppte Milchprodukte sparen. „Gesunden Menschen helfen probiotische Nahrungsmittel nicht“, sagt der Ernährungswissenschaftler Prof. Dirk Haller von der TU München. Und: Auch bei Kranken wirken die winzigen Gesundheitshelfer nur, solange täglich für Nachschub gesorgt wird. Die Bakterien siedeln sich nämlich nicht auf Dauer im Darm an. Auch der ständige Wechsel von Probiotika bringt wenig, weil jedes Produkt mit einer anderen Kultur arbeitet. Wer seine Lieblingssorte gefunden hat und einen positiven Effekt spürt, sollte Joghurt oder Drink am besten mehrere Wochen treu bleiben. Ausprobieren schadet übrigens nicht, denn: Nebenwirkungen sind ausgeschlossen.
Und auch das liebt unser Darm: fermentierte Lebensmittel