Krankheiten & SYMPTOME

Experten-Interview: „Es gibt neue Hoffnung bei Alzheimer“

Gemälde einer lächelnden, älteren Frau. | © SHINICHI IMANAKA, Getty Images
© SHINICHI IMANAKA, Getty Images
Beruhigend zu wissen, dass die Alzheimer-Forschung Fortschritte macht und es neue Hoffnung für Patienten gibt.

Bisher löste die Diagnose Ohnmacht und Verzweiflung aus. Doch jetzt wurden Antikörper gefunden, die den Verlauf der Krankheit abbremsen. Wir sprachen mit dem Experten Dr. Timo Grimmer.

Schwer zu sagen, wie viele Menschen es genau sind, die unter der gefürchteten Krankheit leiden. Eine Demenz haben aktuell ungefähr 1,2 Millionen Deutsche, bei etwa zwei Dritteln ist Alzheimer die Ursache. Fest steht: Die Zahlen werden steigen, weil die Menschen zunehmend älter werden. Doch jetzt scheint es Licht am Ende des Tunnels zu geben: Es laufen Studien mit vielversprechenden Medikamenten, neue Forschungsergebnisse werden veröffentlicht und Mediziner haben die berechtigte Hoffnung, das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen zu können. Wie der Stand der Dinge ist, wollten wir von Privatdozent Dr. Timo Grimmer wissen. Der Münchner Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie testet neue Arzneimittel an Patienten und hofft auf eine baldige Zulassung.

DONNA: Alzheimer und Demenz werden meist in einem Atemzug genannt. Ist das medizinisch korrekt?
Dr. Timo Grimmer: Alzheimer ist eine Hirnerkrankung, die zu einer Demenz führt. Wenn die geistige Leistung in mehreren Bereichen nachgelassen hat, sodass der Betroffene im Alltag Hilfe braucht, dann bezeichnet man das in der Fachsprache als demenzielles Syndrom. Das kann aber auch von anderen Erkrankungen, zum Beispiel einem Schlaganfall oder einer Schilddrüsenfunktionsstörung, ausgelöst werden.

Wann heißt es: Diagnose Alzheimer?
Amyloid ist ein im Stoffwechsel der Nervenzellmembranen ganz natürlich vorkommendes Eiweiß-Fragment. Bei Alzheimer lagert sich aus bisher weitgehend unbekannten Gründen eine zu große Menge im Gehirn ab, weil entweder zu viel produziert oder zu wenig verstoffwechselt und damit abtransportiert wird. Die Amyloid-Masse bündelt sich zu einem Knäuel, wird giftig und schädigt beziehungsweise zerstört Nervenzellen. Von den ersten Amyloid-Ablagerungen spürt der Erkrankte gar nichts. Erst nach Jahren kommt es zu Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Das nennt man dann „kognitive Beeinträchtigung“. Stellen immer mehr Nervenzellen in den folgenden Jahren den Dienst ein, kommt es zum demenziellen Syndrom.

Und jetzt haben Forscher ein Mittel dagegen gefunden?
Ja, es gibt neue Hoffnung bei Alzheimer. Bislang konnte man nur die Beschwerden der Demenz etwas lindern, die Krankheit jedoch nicht heilen oder stoppen. Nach 20 Jahren Forschung wurde nun herausgefunden, wie man mithilfe des Immunsystems nicht nur Pilze und Bakterien bekämpfen kann, sondern auch die Amyloid-Ablagerungen, die Alzheimer verursachen. Verabreicht man den Patienten monoklonale Antikörper – das sind kleine Eiweiß-Bruchstücke – erkennen diese das Amyloid und geben Signal an eine Fresszellen- Armee, die anrückt und die Amyloid-Klumpen auffrisst. Wir nennen das „passive Immunisierung“.

Das heißt, Patienten werden mit den Antikörpern geimpft?
Nicht ganz, Impfungen sind aktive Immunisierungen. Der Körper wird dabei dressiert, selbst Antikörper zu bilden, die dann dauerhaft bereitstehen, das feindliche Amyloid anzuspringen. Auch das hat man schon mal versucht, aber leider kam es dabei zu Hirnschwellungen und die Versuchsreihen mussten abgebrochen werden. Der Vorteil einer passiven Immunisierung ist, dass man mit Infusionen und Spritzen die Menge der Antikörper kontrollieren und gegebenenfalls verringern kann. Bisher ist die Verträglichkeit in der klinischen Erprobung sehr gut.

Kann damit das Vergessen gestoppt oder verzögert werden?
Mit den Antikörpern scheint man das Voranschreiten der Alzheimer- Krankheit verlangsamen und damit die Vergesslichkeit abbremsen zu können. Wichtig ist, die Antikörper in einem frühen Stadium zu verabreichen, denn leiden die Patienten bereits am demenziellen Syndrom, können die abgestorbenen Nervenzellen durch die Medikamente nicht mehr repariert werden. Doch zwischen den ersten Amyloid-Ablagerungen und dem Beginn der Vergesslichkeit liegen etwa zehn Jahre und bis zum demenziellen Syndrom etwa genauso viele. In dieser Zeit wird man die Antikörper wahrscheinlich zukünftig idealerweise einsetzen.

Woher weiß man als Patient, wann man zum Arzt muss?
So früh wie möglich! Hier müssen die Menschen sensibilisiert werden, schneller zu handeln, wenn ihnen Veränderungen an sich oder Angehörigen und Freunden auffallen. Die Leute sollten wissen, dass man etwas gegen Alzheimer tun kann und dass die fatalistische Haltung „Da kann man ja eh nichts machen“ inzwischen überholt ist.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ursachen der Demenz, gegen die es bislang kein Mittel gibt?
Genau. Die neuen Antikörper- Arzneien wirken ausschließlich bei einer durch Alzheimer verursachten Demenz. Es gibt jedoch auch heilbare Ursachen einer Demenz, sodass es immer ratsam ist, zum Arzt zu gehen.

Woran merkt man denn erste Veränderungen, die auf ein frühes Alzheimer-Stadium hinweisen könnten?
Je älter ein Mensch wird, desto mehr nimmt die Leistungsfähigkeit des Körpers ab. Deshalb ist man mit 30 schneller im Kopf als mit 70, das ist normal. Macht einen aber die Umgebung darauf aufmerksam, dass man häufig Verabredungen vergisst oder mehrmals nicht mehr weiß, wo man sein Auto geparkt hat, können das erste Zeichen sein. Auch wenn man beim Reden immer öfter stockt, weil einem Wörter nicht mehr einfallen, sollte man vom Arzt abklären lassen, was dahintersteckt. Es muss nicht immer Alzheimer sein, auch Depressionen oder Vitaminmangel können Auslöser sein.

Was ist, wenn man zu lange gewartet hat? Kann man geistige Defizite wieder aufholen?
Vermutlich nicht. Wir sehen zwar bei allen Studien-Teilnehmern, dass sich relativ schnell die gemessene Hirnleistung etwas bessert, aber das liegt wahrscheinlich nicht an der Gabe der Antikörper, sondern eher am vermehrten Üben im Rahmen der Studie und der verstärkten ärztlichen Zuwendung. Wie es im Moment scheint, kann man allerdings aus Alzheimer ein kontrollierbares chronisches Leiden machen, wie zum Beispiel Diabetes. Da schafft man es, die Krankheit so zu behandeln, dass der Mensch nicht darunter leidet, Folgeprobleme vermieden werden oder erst verzögert auftreten.

Wie werden die Mittel in den Studien verabreicht? Pro Tag eine Pille?
Antikörper kann man leider nicht als Tablette geben, weil sie im Verdauungstrakt zerhackt werden und dem Körper danach nicht mehr zur Verfügung stehen. Ein Arzt muss sie entweder alle 14 Tage spritzen oder alle vier Wochen mittels Infusion in die Vene leiten. Gerade für Menschen, die auf dem Land wohnen und einen weiten Weg zum Spezialisten haben, ist das leider nicht komfortabel. Zudem wird der Betroffene bei jeder Medikamentengabe untersucht: Blut, EKG, MRT etc. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn sollte eine Unverträglichkeit auftreten, sehen wir sie so hoffentlich schneller, als dass der Patient sie spürt. Vielen ist das alles zu aufwendig. Wir wünschten, es würden mehr Menschen an den Studien teilnehmen.

Wann kommt die Zulassung?
Derzeit werden in mehreren Studien wenigstens vier unterschiedliche Antikörper getestet, die sich in der chemischen Struktur und Form voneinander unterscheiden. Die Firma, die am weitesten mit ihren Forschungen ist, hat gerade die möglicherweise letzte Studie laufen. Bringt sie das erwartete und erhoffte Ergebnis, dann wird es Anfang nächsten Jahres vorgestellt und es kann bis zur Zulassung nicht mehr lange dauern.

Sie sind also auf der Zielgeraden?
Ja, aber wir müssen weiterdenken. Wenn die Therapie wirkt, wie wir uns das vorstellen, dann werden mehr Patienten in einem Stadium der leichten Vergesslichkeit bleiben. Wissend um ihre Krankheit, aber nicht völlig hilfsbedürftig.

Und das verlangt dann eine neue Betreuungssituation?
Genau, diese Menschen brauchen einen Platz in unserer Gesellschaft, es müssen Möglichkeiten gefunden werden, sie einzubinden. Wir benötigen mehr ehrenamtliche Demenzhelfer und auch Konzepte, wie zum Beispiel medikamentös eingestellte Alzheimer- Patienten unterstützt werden können. Wenn sich die Gesellschaft damit nicht befasst und Betroffene sich trotz der neuen Arzneimittel schambesetzt in ihre Wohnungen verkriechen, dann wäre das fatal.

Aktuell wird diskutiert, ob man auch Alzheimer-Studien an Patienten durchführen darf, die dem selbst nicht mehr zustimmen können. Was ist Ihre Meinung dazu?
An den von mir erwähnten Studien waren nur einwilligungsfähige Patienten beteiligt. Die gegenwärtige Diskussion hat zum Hintergrund, dass das Arzneimittelrecht europaweit angeglichen werden soll. Es gibt den Vorstoß, dass in engen Grenzen an nicht einwilligungsfähigen Patienten klinische Studien durchgeführt werden – auch wenn der Patient davon keinen unmittelbaren Nutzen haben wird. Das könnte wichtige Erkenntnisse liefern, was etwa die Dosierung anbelangt. Falls es zu einer Anpassung kommt, müssen diese Patienten meiner Meinung nach besonders geschützt werden. Weitere Infos: www.deutsche-alzheimer.de