KRANKHEITEN & SYMPTOME

Diagnose Lipödem: Wie Sie die Krankheit erkennen und behandeln können

Zeichnung einer nackten frau von hinten mit einem breitem Gesäß, | © Bernd Schifferdecker
© Bernd Schifferdecker
Bei einem Lipödem kommt es zu krankhaften Fettwucherungen an den Extremitäten – teilweise in Verbindung mit großen Schmerzen, an denen die Betroffenen leiden.

„Iss doch mal weniger!”, müssen sich viele Frauen anhören, deren Beine auf XXL-Format angeschwollen sind. Dabei ist die Ursache oft ein sogenanntes Lipödem. DONNA erklärt was hinter der Krankheit steckt, an welchen Symptomen sie erkannt werden kann und was Sie dagegen tun können.

Für Heike L. beginnt jeder Tag mit dem Anziehen ihres „Panzers“: Beine und Arme müssen in enge Kompressionsstrümpfe und -ärmel gewürgt werden. Eine mühsame Prozedur, als würde man sich in einen zu kleinen Taucheranzug quetschen. Aber es muss sein. „Ohne Kompression und tägliche Lymphdrainage könnte ich mittags vor lauter Schmerzen schon gar nicht mehr stehen“, sagt die pharmazeutisch-technische Assistentin aus Trier.

Verschlimmerung durch die Menopause

Seit mehr als 20 Jahren leidet die attraktive 46-Jährige an einem Lipödem, krankhaften Fettwucherungen an den Extremitäten. Taille und Rumpf sind schlank, Größe 40 passt hier locker. Aber unterhalb der Gürtellinie plustert sich ihr Körper unverhältnismäßig auf. Ihre Hosen haben Größe 44, an den Beinen wölben sich Fettpolster, die ständige Schmerzen verursachen. Vor allem auf Druck, im Sitzen, im Stehen, auch nachts und beim Sport. Dasselbe Bild an ihren Armen. „Seit der Menopause ist alles sehr viel schlimmer geworden“, sagt L., die Vollzeit in einer Apotheke arbeitet. Trotz Dauerdiät wurden die Beine immer dicker. Ohne Schmerzmittel kommt sie nicht durch den Tag. „Diese Krankheit raubt mir inzwischen jegliche Energie.“

Das Lipödem, eine krankhafte Überproduktion und Vergrößerung von Fettzellen, ist eine tückische Krankheit, die nur Frauen betrifft. Wie viele es sind, darüber gehen die Schätzungen auseinander. „Manche Studien sprechen von 20 Prozent aller Frauen, andere nur von ein bis zwei Prozent“, sagt Professor Stefanie Reich-Schupke, Phlebologin am Venenzentrum der Universität Bochum. „Die Dunkelziffer ist sehr hoch.“ Auch die Ursachen liegen noch im Dunkeln, vermutet wird ein Zusammenhang mit hormonellen Prozessen.

Lipödem tritt oftmals bei großer Hormonproduktion auf

„Wir wissen, dass ein Lipödem eher in den hormonell produktiven Phasen wie Pubertät oder Schwangerschaft auftritt“, so Reich-Schupke. Vereinzelt werden auch die hormonellen Veränderungen der Wechseljahre als Einflussfaktor genannt. Wie bei Heike L. verschlimmert sich die Krankheit häufig mit den Jahren. Mitunter so sehr, dass Knie oder Knöchel komplett unter dem sie überstülpenden Fett verschwinden. Die Oberschenkelinnenseiten reiben aneinander, es kommt zu Hautekzemen. Die Kilos belasten Kreislauf und Gelenke, sie reduzieren die Beweglichkeit im Alltag und führen in drastischen Fällen zur Berufsunfähigkeit.

Entscheidend ist offenbar auch die genetische Veranlagung. „Unsere Forschungsarbeiten zeigen, dass bestimmte Gene eine wichtige Rolle spielen“, sagt Professor Lukas Prantl, der sich an der Universität Regensburg seit mehr als 20 Jahren mit der Frauenkrankheit beschäftigt. „Die veränderte Regulation dieser Gene führt zu einer deutlichen Vermehrung von sogenannten Fettgewebevorläuferzellen, die sich schneller teilen und mehr Fett einlagern.“ Weil auch die Blut- und Lymphgefäße bei einem Lipödem durchlässiger sind, tritt mehr Körperflüssigkeit aus, was die Einlagerung von Fett zusätzlich begünstigt. Sport und Diäten helfen gegen die Fettwucherungen an den Extremitäten bedauerlicherweise so gut wie nicht.

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Eindeutige Diagnose eines Lipödems ist schwierig

Eindeutig diagnostizieren lässt sich ein Lipödem leider nicht immer. Trotz wachsender Aufmerksamkeit wird die Krankheit auch heute noch bisweilen als Folge von mangelnder Disziplin abgetan. Selbst viele Ärzte empfehlen ihren Patientinnen, einfach mal eine Diät zu machen. „Das liegt auch daran, dass es viele Übergangsformen gibt“, bemerkt Prantl. Oft lasse sich ein Lipödem tatsächlich schwer von einer ernährungsbedingten Adipositas abgrenzen: Was ist ausschließlich die Folge einer ungezügelten Futterlust und was ist der krankhaften Fettwucherung geschuldet? Nicht selten kommt beides zusammen: zum Beispiel bei Frauen, die aufgrund ihrer Ernährung zu viel auf den Rippen haben und zusätzlich unter einem Lipödem leiden. Oder sie entwickeln mit den Jahren ein enormes Übergewicht, weil ihnen im Kampf gegen die weitgehend diät- und sportresistenten Fetteinlagerungen irgendwann die Motivation abhanden gekommen ist, sich jede überflüssige Kalorie zu versagen.

Indizien für ein klassisches Lipödem sind ein schlanker, oft sogar zierlicher Oberkörper und unverhältnismäßig fettleibige Beine, seltener auch Arme, die starke Schmerzen und Druckgefühle verursachen. Auch eine Neigung zu blauen Flecken ist typisch für das Lipödem. Diese Frauen sind nicht zu dick – sie sind schlichtweg krank.

Depressionen und Alkoholismus sind häufig die Folge

„Ich bin nachts oft wegen dieser Schmerzen aufgewacht“, berichtet die Fotografin Corinna Hansen-Krewer, die sich seit einigen Jahren für mehr Aufklärung zum Thema Lipödem engagiert und dafür inzwischen 50 betroffene Frauen fotografiert hat (soul-feelings.de). Für etliche bedeute die Diagnose Lipödem den Einstieg in einen Teufelskreis, erzählt die 33-Jährige. „Je mehr Schmerzen, desto größer die Frustration darüber, sich nicht mehr richtig schmerzfrei bewegen zu können. Viele Frauen geben sich auf – und auch ihre Versuche, das Gewicht zu reduzieren.“ Überdurchschnittlich viele Lipödem-Patientinnen, weiß Stefanie Reich-Schupke, leiden unter Depressionen und Alkoholismus. Die Hälfte entwickelt im Verlauf der Jahre eine Adipositas.

Bisher gilt das Lipödem als unheilbar. Professor Prantl forscht mit seinem Team an einer oral einnehmbaren Substanz, die das Fettzellwachstum bremsen soll. Versuche mit Freiwilligen sollen demnächst anlaufen. Aber bis zur Produktreife ist es noch ein weiter Weg. So lange bleiben nur konservative und operative Therapieansätze. Die konventionelle Variante sind lebenslang Kompressionsstrümpfe und regelmäßige manuelle Lymphdrainage. Bei diagnostiziertem Lipödem tragen die Krankenkassen die Kosten. Die vor knapp zwei Jahren verabschiedeten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie empfehlen darüber hinaus eine operative Liposuktion, eine Fettabsaugung. Unter der Voraussetzung, dass zuvor eine mindestens sechsmonatige konservative Therapie keine Besserung erbrachte und vorhandenes Übergewicht abgebaut wurde.

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Fettabsaugung kann Linderung bringen

„Die Fettabsaugung reduziert den Druck auf das Gewebe“, erklärt Prantl, der die Operation an seiner Klinik in Regensburg mehrmals pro Woche durchführt. Drei bis vier Stunden dauert der Eingriff, bei dem bis zu sechs Liter Fett entfernt werden – dauerhaft, weil auch die beteiligten Fettzellen abgesaugt werden. „Danach müssen die Patientinnen sechs Monate flach gestrickte Kompressionshosen tragen“, so Prantl. Die akribische Nachsorge sei ebenso wichtig wie die durch einen erfahrenen Operateur durchgeführte Absaugung selbst. „Oft bieten auch Heilpraktiker eine Liposuktion an. Das ist ein Desaster.“ Die Venenärztin Stefanie Reich-Schupke empfiehlt neben Phlebologen auch das Aufsuchen von Lymphologen und Angiologen für Diagnose und Behandlung.

Etwa 6000 bis 7000 Euro kostet eine Fettabsaugung. Für die komplette Entfernung sind meist mehrere Operationen nötig. Bislang werden die Kosten nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen Patientinnen gegen diese Absage klagten, wurden die Kassen per Sozialgerichtsbescheid zur Kostenübernahme gezwungen. Die neuen Leitlinien könnten die Zurückhaltung der Kassen nun aufweichen. „Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahren neue Beratungen zu diesem Thema geben wird. Sobald wir mehr Studien zu den langfristigen Ergebnissen vorliegen haben“, prognostiziert Reich-Schupke.

So lange wollen viele Frauen nicht warten. Corinna Hansen-Krewer hat sich inzwischen fünf Fettabsaugungen unterzogen – und die Kosten größtenteils selbst getragen. „Es waren keine leichten Eingriffe“, sagt sie, „Aber mit jeder überstandenen Operation kam Erleichterung.“ Auch Heike L. ist fest entschlossen, sich noch dieses Jahr operieren zu lassen – zur Not auch auf eigene Kosten. „Ich will“, sagt sie, „mein Leben zurück.“

Verdacht auf Lipödem? Indizien und Anlaufstellen auf einen Blick

Ein dicker Po und kräftige Schenkel sind noch kein Lipödem. Auch Cellulite ist – weil primär das Binde- und nicht das Fettgewebe betroffen ist – kein Indiz dafür. Sie kann lediglich begleitend auftreten. Bei einem Lipödem vermehrt sich das Unterhautfettgewebe im Bereich der Beine, mitunter auch an Armen und Po. Füße, Hände und Rumpf bleiben dagegen normal. Im fortgeschrittenen Stadium reagieren die Bereiche mit Schmerzen auf Druck, mitunter schmerzen sie sogar ohne Druck. Auch Blutergüsse entstehen schneller. Die Beine fühlen sich oft schwer an. Langes Sitzen, Stehen oder warmes Wetter verstärken die Symptome. Unbehandelt kann als Folge eines fortgeschrittenen Lipödems auch ein Lymphödem entstehen. Bei dieser Erkrankung transportieren die Lymphgefäße nicht mehr ausreichend Flüssigkeit ab und es kommt zu schmerzhaften Stauungen.

Erste Anlaufstelle bei Verdacht auf ein Lipödem sind Venenärzte, Angiologen und Lymphologen. Die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie listet auf ihrer Website (phlebology.de) Venenärzte in der Umgebung auf. Auch die Deutsche Gesellschaft für Lymphologie bietet auf dglymph.de eine Ärztesuche nach Postleitzahlen.