Hörimplantate sollen es Menschen mit Hörverlust ermöglichen, das Leben wieder mit allen Sinnen zu genießen. Im Experten-Interview erklärt HNO-Spezialist Dr. Markus Brandstetter, wie die modernen Hörprothesen funktionieren und für wen sie geeignet sind.
Hörverlust kann in jeder Lebensphase auftreten und den Alltag der Betroffenen stark einschränken – egal, ob er angeboren ist, im Kindesalter, bei Erwachsenen oder Senioren auftritt. Viele Patienten gehen davon aus, dass Hörgeräte für sie die einzige Möglichkeit sind, ein Stück Lebensqualität wiederzuerlangen. Doch was tun, wenn die Schwerhörigkeit so weit fortgeschritten ist, dass konventionelle Hörhilfen keine Verbesserung mehr bringen? Hörimplantate sollen es Menschen mit Hörverlust ermöglichen, wieder mit allen Sinnen am Leben teilzunehmen. Im DONNA-Interview beantwortet HNO-Facharzt und Hörspezialist Dr. Markus Brandstetter aus der HNO Praxis Holzkirchen & Miesbach die wichtigsten Fragen zu Kosten, Risiken und Einsatzmöglichkeiten der modernen Hörlösungen.
DONNA Online: Wann raten Sie Patienten mit einer Hörschwäche bzw. Hörverlust zu einem Hörimplantat?
Dr. Markus Brandstetter: Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Allgemein gilt: Jeder, der mit einem optimal eingestellten, konventionellen Hörgerät nicht ausreichend hört oder zurechtkommt, ist ein Kandidat für ein Hörimplantat. Wenn Patienten trotz Hörgerät so schlecht hören, dass sie sozial eingeschränkt sind oder sich sogar zurückziehen, ist es an der Zeit, etwas zu unternehmen. Das kann zum Beispiel bei jüngeren Leuten im Beruf der Fall sein, die in Besprechungen Schwierigkeiten haben.
Aber gerade bei älteren Menschen, die nicht mehr sehr mobil sind, ist das Hören besonders wichtig, damit sie sich mit ihren Kindern und Enkeln unterhalten können. Cochlea-Implantate sind Hörprothesen, die in der Regel auch tauben Patienten wieder das Hören ermöglichen können. Das ist wirklich eine sensationelle Errungenschaft der modernen Medizin, Menschen ein Sinnesorgan zurückzugeben.
Es gibt aber auch noch andere Hörimplantate, zum Beispiel implantierbare Mittelohr-Hörgeräte, die zum Einsatz kommen, wenn Menschen etwa unter ihrem normalen Hörgerät permanent Gehörgangsentzündungen haben oder bereits wegen zahlreicher Ohr-Operationen ein Problem mit der Schallweiterleitung haben oder wenn Kinder eine Fehlbildung am Ohr haben. Es gibt also eine Vielzahl an Gründen für Hörimplantate.
Wie funktioniert ein Hörimplantat im Vergleich zu einem „klassischen“ Hörgerät?
Klassische Hörgeräte haben, vereinfacht gesagt, ein Mikrofon nach außen und einen Lautsprecher nach innen, also in Richtung Trommelfell. Sie nehmen Schall auf und verstärken ihn – und können dabei einzelne Frequenzbereiche je nach Verlauf der Hörkurve unterschiedlich stark verstärken. Wenn jemand die hohen Frequenzen besonders schlecht hört, werden diese mehr verstärkt als niedrigere Frequenzen.
Ein Cochlea-Implantat (CI) funktioniert grundsätzlich anders. Man legt in einer Operation eine feine Elektrode in die Hörschnecke hinein, die dort direkt den Hörnerv stimuliert. Also auch, wenn die Hörschnecke bei einer Taubheit keine Signale mehr produzieren kann, wird durch das CI am Hörnerv einen Reiz erzeugt. Das Cochlea-Implantat hat ebenfalls ein Mikrofon, um Geräusche aus der Umgebung aufzunehmen. Dann allerdings werden in einem kleinen Sprachprozessor hinter dem Ohr die akustischen Signale in elektrische Signale umgewandelt. Nun müssen diese Signale irgendwie unter die Haut und zur Hörschnecke gelangen. Dies geschieht per Induktion: So wird die Information zum implantierten Teil übertragen und an die Elektrode in der Schnecke weitergeleitet.
Gibt es Fälle, in denen ein Hörimplantat nicht eingesetzt werden kann, etwa bei bestimmten Vorerkrankungen?
Solche Fälle gibt es: Wenn zum Beispiel die Taubheit schon sehr viele Jahre andauert, muss man eine CI-OP streng abwägen, denn häufig lernt das Gehirn dann nicht mehr, mit den neuen Hörinformationen aus dem CI umzugehen. Auch wenn die Schwerhörigkeit durch eine Erkrankung des Hörnervs selbst verursacht ist, hilft ein CI in der Regel nicht. Allerdings kann hier unter Umständen mit einem Hirnstamm-Implantat eine Lösung gefunden werden. Außerdem können seltene anatomische Probleme eine Rolle spielen. Meist sind es jedoch nicht technische oder chirurgische Gründe, die einer Implantation im Weg stehen, sondern Patienten kennen diese Option nicht oder haben Angst davor, weil sie nicht ausreichend von uns Ärzten informiert werden. Ein solcher Schritt will von allen Seiten gut überlegt sein.
Woran man einen Ohrinfarkt erkennt und Tipps zur Vorbeugung: Hörsturz
Wie wird das Hörimplantat eingesetzt – und welche Risiken sind mit dem Eingriff verbunden?
Das CI wird in einer nur mittelgradig schwierigen Operation eingesetzt. Man führt einen Hautschnitt hinter dem Ohr durch, darunter legt man einen Knochen frei, der Warzenfortsatz heißt, das Mastoid. Wenn man diesen mit einem Bohrer eröffnet, gelangt man ins Mittelohr mit seinen Gehörknöchelchen. Dort befindet sich auch ein kleines Fenster zur Hörschnecke. Dieses wird eröffnet und die Elektrode dorthin eingeführt. Mit der Elektrode verbunden ist das eigentliche Implantat, in einem nur wenige Millimeter dicken silikonummantelten Titangehäuse. Dieses wird in einem feinen Knochenbett über dem Mastoid eingesetzt. Dann wird alles wieder verschlossen und die Haut zugenäht. Nach einer Einheilungsphase von circa einem Monat kann man den äußeren Teil, der per Magnet hält, ansetzen und das CI aktivieren.
Über möglichen Komplikationen muss natürlich jeder individuell mit seinem Operateur sprechen. Aber generell ist die OP nicht besonders riskant. Gelegentlich tritt für ein paar Tage nach dem Eingriff ein unangenehmer Schwindel auf, der meist aber bald wieder verschwindet. Bei jeder Ohr-Operation trifft man auf den Nervus facialis, den Gesichtsnerven, der in einem knöchernen Kanal durch das Mittelohr und den Warzenfortsatz zieht. Das gefürchtetste Risiko ist, diesen Nerven zu verletzen, mit der Gefahr einer Gesichtsnervenlähmung. Der „Facialis“ ist aber sozusagen ein alter Bekannter des Ohrchirurgen. Schon vor seiner ersten OP lernt ein Ohr-Operateur am Modell den Verlauf des Nervs, außerdem führt man präooperativ auch ein CT durch, das einem eventuelle Lagevarianten zeigt. Und schließlich muss man auf mögliche Entzündungen aufpassen, die im Operationsgebiet auftreten können.
Kann es sein, dass das Implantat vom Körper abgestoßen wird? Falls ja: Wie wird in so einem Fall vorgegangen?
Eine wirkliche Abstoßung des mit Silikon ummantelten Implantates ist eine ausgesprochene Rarität, das Immunsystem stört sich eigentlich nicht daran. In seltenen Fällen gibt es aber Wundinfektionen. Diese versucht man zunächst mit Antibiotika in den Griff zu bekommen. Falls das nicht funktionieren sollte, muss das Implantat ggf. sogar explantiert werden.
Kann das Hörvermögen durch ein Implantat vollständig wiederhergestellt werden?
Ein taub geborenes Kind, das frühzeitig beidseitig mit einem CI versorgt wurde, wird man in seinem Verhalten nicht von normalhörenden Kindern unterscheiden können. Auch bei Erwachsenen kann man, wenn die Voraussetzungen stimmen, wieder ein annähernd normales Hören ermöglichen – zumindest so, dass man sich nach einer gewissen Lernphase auch wieder ohne Probleme in Gesellschaft verständigen kann. Sogar Musikhören macht praktisch allen CI-Trägern wieder Spaß!
Wie langlebig sind Hörimplantate? Müssen sie nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden?
Diese Implantate halten in der Regel gute 20 bis 30 Jahre. In manchen Fällen länger, in seltenen Fällen bei technischen Problemen auch kürzer. Ein Implantatwechsel ist aber in der Regel nicht aufwendig.
Mit welchen Kosten müssen Patienten für ein Hörimplantat rechnen?
In Deutschland bezahlen die Krankenkassen die gesamten Kosten für ein Hörimplantat, die mit circa 30.000 Euro beträchtlich sind. Dies steht übrigens im interessanten Gegensatz zu den Kosten für normale Hörgeräte, bei denen Patienten einen relevanten Teil oftmals selbst bezahlen müssen.