Im Schlaf eine neue Sprache lernen, Ängste lösen oder kreative Ideen entwickeln: Luzides Träumen soll das alles möglich machen. Im Interview erklärt Traumexpertin Dr. Melanie Schädlich, was Klarträume sind – und welche Möglichkeiten sich dahinter verbergen.
Fliegen, sich unsichtbar machen oder einen Hollywoodstar küssen: Wenn wir träumen, ist alles möglich und fühlt sich auch noch überraschend real an. Bewusst steuern, was im Traum passiert, können dagegen nur die wenigsten Schlafenden. Die Ausnahme bilden luzide Träumer: Sie sind sich im Schlaf völlig klar darüber, dass sie gerade träumen, können das Geschehen gezielt beeinflussen und den außergewöhnlichen Bewusstseinszustand sogar dazu nutzen, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Das klingt im wahrsten Sinne des Wortes traumhaft – und die gute Nachricht ist: Das sogenannte luzide Träumen, auch Klar- oder Wachträumen genannt, kann jeder Mensch erlernen.
Wie Sie luzides Träumen lernen, welche Möglichkeiten Klarträumern offenstehen und wie diese besondere Fähigkeit als Therapie bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden kann, erklärt Dr. Melanie Schädlich im Interview. Die Traumforscherin ist Expertin für luzide Träume und untersuchte das Phänomen im Rahmen ihrer Studien unter anderem mit Blick auf die Fähigkeit, während eines Klartraums zu lernen und bereits Erlerntes zu optimieren.
Was genau ist luzides Träumen und was passiert dabei mit dem Körper?
Dr. Melanie Schädlich: Luzide Träume oder Klarträume bezeichnen Träume, während denen man sich bewusst ist, zu träumen. Man hat dann die Möglichkeit, Einfluss auf die Traumhandlung oder das eigene Handeln zu nehmen, kann den Traum aber auch bewusst beobachten.
Der Körper befindet sich währenddessen im Schlaf und zwar in der sogenannten Rapid Eye Movement (REM)-Schlafphase, die wir jede Nacht mehrmals durchlaufen. Auf neuronaler Ebene ist der einzige Unterschied zum nicht-luziden Träumen, dass bestimmte Bereiche des Gehirns, die unter anderem mit dem Ich-Bewusstsein assoziiert werden, eine höhere Aktivität aufzeigen.
Äußern sich luzide Träume bei allen Menschen gleich oder gibt es verschiedene Ausprägungen? Haben nur manche Menschen luzide Träume?
In Studien zeigt sich, dass ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung zumindest schon einmal einen Klartraum erlebt hat, denn Klarträumen kann auch spontan auftreten. Ungefähr ein Fünftel aller Menschen träumt mindestens einmal im Monat klar. Zwischen den Klarträumern gibt es Unterschiede, die sich im individuellen Erleben im Klartraum, der Länge und Stabilität der Klarträume sowie dem Grad und Erfolg der Einflussnahme zeigen.
Kann ich luzides Träumen zu Hause erlernen oder muss ich zu einem Experten in ein Schlaflabor gehen? Und: Wie kann ich luzides Träumen üben?
Man kann das Klarträumen definitiv zu Hause erlernen bzw. die Frequenz steigern, wenn man sie bereits ab und zu spontan hat. Es gibt zahlreiche Methoden und Hilfsmittel, die man einfach zu Hause anwenden kann. Inzwischen gibt es viele Bücher und andere Medien, die Techniken und Tipps vermitteln.
Wichtig ist, dass jeder für sich selbst ausprobiert, welche Technik für ihn oder sie gut funktioniert. Es hilft, ein Traumtagebuch zu führen. Weiterhin sind eine hohe Motivation und Geduld hilfreich. Außerdem wirkt es förderlich, sich mit anderen über das Thema auszutauschen, etwa in Foren oder Traumgruppen.
Ist es möglich, während eines luziden Traums zu lernen oder einen besseren Lerneffekt zu erzielen, etwa beim Erlernen einer neuen Sprache?
Die Forschung hat sich bisher vor allem dem motorischen Lernen im Klartraum gewidmet. Studien zeigen, dass es möglich ist, selbst komplexe Bewegungsabläufe im Klartraum zu trainieren, die möglicherweise sogar zu einer Verbesserung im Wachzustand führen können.
Es gibt Beispiele von Sportlern, die intensiv im Klartraum trainiert haben und dadurch positive Effekte im Wachzustand erlebt haben. Sicher eignet sich der Klartraum nicht für alle Arten zu lernen gleichermaßen gut. Das Üben einer Sprache im Klartraum ist zumindest denkbar – es wäre hier jedoch zu prüfen, ob das tatsächlich funktioniert. Das Gehirn ist im REM-Schlaf generell sehr kreativ und assoziativ, was bei dem einen oder anderen vielleicht ein Vokabeltraining oder das Sprechen einer Fremdsprache stören könnte.
Lassen sich mithilfe von luziden Träumen Albträume bekämpfen?
Ja. Vor allem wiederkehrende Albträume eignen sich gut, um den Klartraumzustand zu erkennen. Der Träumer könnte dann versuchen, sich zu wecken, die Bedrohung im Traum zu erforschen oder dem Traum ein positives Ende zu geben. Studien haben gezeigt, dass Teilnehmer mit Albträumen, die ein Klartraumtraining erhielten, hinterher weniger Albträume hatten bzw. diese als weniger schlimm empfanden, obwohl nicht alle Probanden tatsächlich Klarträume hatten. Allein das Wissen, dass man seine (Alb-)Träume beeinflussen kann, scheint einigen Menschen schon zu helfen.
Können luzide Träume als Therapie bei psychischen Erkrankungen, zum Beispiel Depressionen, eingesetzt werden?
Aus meiner Sicht auf alle Fälle. In der Psychotherapie arbeitet man zum Teil mit Imagination, also mit der Vorstellungskraft. Klarträume sind da sehr ähnlich, nur vom Erleben her intensiver, realistischer und eventuell emotionaler. Mir sind bislang allerdings keine Studien dazu bekannt.
Bisher sind Klarträume keine offizielle therapeutische Methode, die Psychologen in der Therapieausbildung behandeln. Wenn ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung Klarträume heilend einsetzen möchte, sollte er dies auf alle Fälle mit seinem Therapeuten/seiner Therapeutin besprechen. Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen leiden häufig unter starken Albträumen. Hier könnte man gemeinsam mit dem Therapeuten versuchen, diese durch Klarträume zu mindern. Personen, die aufgrund einer Erkrankung halluzinieren oder dissoziieren, sollten definitiv mit ihrem Psychiater oder Psychologen sprechen, wenn sie Klarträume erleben wollen.
Insgesamt sehe ich ein starkes Potential von Klarträumen für die Psychotherapie, zum Beispiel bei Depression, Ängsten und Phobien sowie für jeden zur Verbesserung der Lebensqualität.
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