Interview

Selbstliebe lernen: So werden Sie und Ihr Körper gute Freunde

Frau sitzt auf dem Boden und umarmt sich selbst | © gettyimages.de / Westend61
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Eine Expertin erklärt, wie man mit seinem Körper wieder ins Reine kommt.

Selbstliebe und Selbstakzeptanz stellen nicht nur in der Pubertät oder in den 20ern eine Herausforderung dar, sondern auch noch in der Lebensmitte. Immer mehr Frauen fühlen sich unwohl in ihrem Körper, streben einem unrealistischen Körperideal entgegen und suchen nach der Perfektion im Außen. Dabei ist genau das der falsche Weg. Die Münchner Ärztin und Psychotherapeutin Lisa Pecho spricht im Interview darüber, was die andauernde Selbstoptimierung mit uns macht und warum es uns so schwer fällt, uns selbst und unseren Körper zu lieben. Die Expertin erklärt, wie wir den Blick wieder mehr nach innen richten und unseren Körper zu lieben lernen. 

Frau Pecho, warum sind wir mit 40 oder auch 60 nicht selbstbewusst genug, um uns dem Wahn um den idealen Körper zu entziehen?
Lisa Pecho: Der Druck von außen ist unglaublich. Wir dürfen mit 40 nicht mehr 40 sein und mit 60 nicht mehr 60. Wir dürfen nicht mehr zu früh alt und unattraktiv aussehen. Es gibt heute, neben der Pubertät, einen zweiten Gipfel für den Beginn von Essstörungserkrankungen. Und der betrifft immer mehr Frauen ab der Lebensmitte.

Wie konnte es dazu kommen?
Früher war das Leben vorgezeichnet, es gab keinen Druck, sich im späteren Alter bewähren zu müssen. Heute ist eine Frau in diesen Jahren eine klassische Multitasking-Frau. Gerade eben habe ich mich mit einer Mutter getroffen, die drei Kinder hat, einen Lehrstuhl, Professorin ist. Sie macht alles Mögliche – mit einem enormen Leistungsanspruch. Das Diktat lautet: Erfolg haben, Pflichten erledigen, auch noch eine super Mutter sein, die Arbeit supergut machen. Und ich muss auch noch attraktiv bleiben für meinen Mann. Das ist ein Leben, das sich sehr im Außen verortet. Und das verunsichert.

Wie zeigt sich diese Verunsicherung?
Es fühlt sich an, als würde man sich innerlich auflösen. Man kann sich gar nicht mehr richtig spüren. Wie steuert man nun dagegen an? Man möchte die Kontrolle zurückgewinnen. Hier kommt unser Körper ins Spiel. Wenn ich den im Griff habe, mein Gewicht kontrolliere, Sport mache, gut aussehe, dann habe ich wenigstens irgendetwas unter Kontrolle.

Aber es scheint, als würde uns eine gesellschaftliche Instanz einflüstern, wir kämen nur mit perfektem Körper gut durch.
Wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung. Es ist nicht akzeptiert, wenn wir übergewichtig, nicht durchtrainiert sind, wenn wir uns schlecht ernähren. Und wir sind selbst schuld daran. Weil wir uns nicht im Griff haben. Viele Freiheiten, die wir Frauen heute haben, sind großartig. Aber diese Freiheiten implizieren auch, ich habe es selbst in der Hand, ob mein Leben gut läuft oder nicht.

Warum ist Attraktivität ein so wichtiges Gut geworden?
Wir haben mittlerweile eine hohe Scheidungsrate. Für viele Frauen bedeutet das leider immer noch: Wenn ich nach dem neuen Scheidungsrecht geschieden werde, bekomme ich zwei Jahre Unterhalt, dann muss ich gucken, ob ich mit Mitte 40 noch einen Job kriege. Zudem brauche ich eine gewisse Attraktivität, wenn ich einen neuen Partner finden möchte. Der Markt wird mit zunehmendem Alter enger.

Trotzdem ist es doch ein Trugschluss zu glauben, wenn ich mich jetzt schön und schlank halte, winkt das Happy End.
Natürlich. Weil die große Gefahr besteht, dass mein Innerstes ein Stück weit verhungert – wenn ich mich so im Außen beschäftige.

Klingt tragisch. Aber wahrscheinlich ist dem nicht so leicht zu entkommen.
Manche Soziologen vermuten, dass diese Selbstoptimierungsgeschichten eine Art Ersatzdroge fürs Volk sind. Wir leben in politisch unruhigen Zeiten, wir spüren im Hintergrund eine Bedrohung. Da lenkt es natürlich ab, wenn ich mich so um mich selbst drehe. Ich nehme die Welt um mich herum nicht mehr so stark wahr, da bin ich auf sicherem Terrain. Auch bei jungen Mädchen steckt ja hinter einer Magersucht nicht primär die übermäßige Beschäftigung mit dem Körper, sondern die Ohnmacht gegenüber den enormen Forderungen von außen.

Die Beschäftigung mit dem Körper kaschiert demnach eine große Orientierungslosigkeit?
Ja. Wir Menschen haben das Bedürfnis nach Ritualen. Wir sehnen uns nach etwas, das uns vorschreibt, wie wir zu leben haben. Früher hat das in großem Maße die Religion übernommen. Wir hängen also im Grunde in der Luft und kommen zu dem Schluss, nur wenn wir möglichst selbstoptimiert leben, leben wir richtig. Früher gab’s den lieben Gott und das Schicksal. Heute sind wir für alles selbst verantwortlich. Diese Idee, alles ist machbar, ist ein ziemlicher Wahnsinn.

Auch die Bereitschaft, Schönheitseingriffe vorzunehmen, nimmt stark zu.
Das verändert sich sehr, wird gerade zur Normalität. Eine Falte? Schnell weg damit! Viele Frauen entscheiden sich heute dafür, das Altern ein bisschen weiter hinauszuschieben. Das wird noch zunehmen. Unsere Enkel finden es vielleicht superkomisch, wenn man sich kein Botox spritzt oder nicht die Schlupflider korrigieren lässt. Wir erleben da eine Entwicklung in Richtung Cybermensch. Tausendprozentige Perfektion. Das ist nicht lustig.

Aber wir könnten uns gegen den Strom stellen. Zeigen, da mache ich nicht mit!
Absolut. Wir dürfen das noch. Noch ist es möglich zu sagen: „Das ist die Natur. Ich will da gar nicht eingreifen, ich will in Würde älter werden. Dann habe ich halt Falten, die gehören zu mir.“

Warum durchschauen wir nicht, dass äußere Perfektion uns nicht zu einem glücklicheren Menschen machen wird?
Wir Menschen haben eine ausgesprochene Sehnsucht nach einem Zugehörigkeitsgefühl. Ein Beispiel: Wenn Sie sich in einem Freundeskreis bewegen, wo sich alles nur noch um richtige Ernährung und Fitness dreht, dann können Sie da nicht mithalten, wenn Sie keinen Sport und Ihren Kindern immer nur Pommes mit Wienern zum Essen machen. Dann wären Sie sofort raus. Wenn ich aber dazugehören will, fange ich auch an, mir vegane Kochbücher zu kaufen und zu überlegen, wie viel ich wiegen soll.

Wir beschäftigen uns fast manisch mit dem Thema Essen.
Ja, es ist absurd, dass so viel über Essen nachgedacht wird. Und Merkmale einer Essstörung zeigen sich auch schon bei vielen Frauen, die keine Essstörung haben.

Eine Kollegin von mir meinte, dass kaum eine Frau noch unverkrampft mit Essen umgeht. Sehen Sie das ähnlich?
Ja. Das betrifft sehr, sehr viele. Auch die vermeintlichen Unverträglichkeiten nehmen enorm zu. Was faktisch nicht zutrifft.

Eine Glutenunverträglichkeit etwa hat laut offiziellen Zahlen ja nur weniger als ein Prozent der Bevölkerung.
Stimmt. Warum also ploppen ausgerechnet jetzt diese Unverträglichkeiten auf? Eine Erklärung wäre: Wer sehr restriktiv isst, schädigt den Magen-Darm-Trakt. Der reagiert dann viel empfindlicher auf Lebensmittel. Ich habe mal Freunde zum Essen eingeladen und vergessen, dass eine Freundin kein Gluten verträgt. Dann steht man blöd da. Man hat Spaghetti gemacht, sie sagt, dann esse ich halt nur Salat. Manchmal habe ich das Gefühl, manche sind fast froh, wenn sie eine Unverträglichkeit vorweisen können: Sie bekommen dann eine besondere Aufmerksamkeit. Eine Unverträglichkeit muss man sich auch leisten können: Die Ersatzprodukte sind oft sehr teuer.

Wie können wir wieder zu einem liebevollen Umgang mit dem Körper finden?
Ich zeige meinen Patientinnen immer das Bild eines Baumes. Oben ist die Krone und sie steht für das Äußere: die Erfüllung von Pflichten, unsere Optimierung, den perfekten Körper, die attraktive Frau und so weiter.

Was passiert nun, wenn man 80 bis 90 Prozent seiner Energie nur da hineinsteckt, um die Krone gut zu erhalten. Das Baumstämmchen, also das, was uns im Innersten ausmacht und diese riesige Krone trägt, wird immer dünner, schmaler und brüchiger.

Und schafft es wahrscheinlich irgendwann nicht mehr, sich fest zu verwurzeln?
Genau. Dann kippen wir. In eine Depression, in tiefe Ängste, in den Burnout oder auch in eine Essstörung. Als Therapeutin versuche ich mit Frauen daran zu arbeiten, dass sie wieder an ihre wirklichen Gefühle und Bedürfnisse herankommen. Dass sie durchaus mal abweichen dürfen von allem, was sie meinen immer erfüllen zu müssen. Es ist ganz wichtig, die Wahrnehmung seiner selbst zu schulen und darüber zu spüren, okay, da gibt’s eine Seite an mir, die habe ich schon so lange nicht mehr erfühlt. Viele Frauen erzählen mir: „Ich habe alles perfekt im Griff, ich kriege mein Leben gut hin und ich weiß, dass ich ganz gut aussehe. Aber trotzdem merke ich einfach, das ist gar nicht mein Tempo, ich bin das alles gar nicht.“ Nein, die wollen sich einfach mal hängen lassen, träumen, malen und nicht permanent unter Strom stehen.

Wir sind mittlerweile ganz schön fremdbestimmt.
Genau. Und wir sollten in kleinen Schritten dagegenhalten. Natürlich darf ich am Sonntag zu Hause sein, auch wenn die Sonne scheint. Dann bleibe ich halt drin und male oder höre Musik. Also vom Sog des Außen hin zu den Bedürfnissen, die unser Wesen ausmachen.

Wir haben heute ein irre schnelles Tempo – auch durch die ganzen medialen und technischen Möglichkeiten. Es ist aber nicht das Tempo, das uns Menschen biologisch entspricht. Wenn wir bei dem Tempo mithalten wollen, können wir kaum verschnaufen. Wir haben wenig Zeit, wirklich mal Innenschau zu halten und zu schauen, wer bin ich eigentlich darüber hinaus?

Aber man braucht auch Mut, um sich dem inneren Wesen zu stellen. Da könnte ja auch nicht so Schönes lauern.
Klar, das macht Angst. Aber ich werde nicht drum herumkommen, wenn ich mich um meinen Stamm kümmern möchte. Und es ist klar: Das innere Selbst braucht meist etwas ganz anderes als das, was von außen erwartet wird.

Was die kleinen Schritte angeht: Viele Frauen befällt Panik bei der Idee, in Sachen Figur gnädiger zu sich zu sein.
Das stimmt leider. Ich erlebe viele Frauen in meiner Praxis, die haben große Angst loszulassen. Sie fürchten: „Wenn ich jetzt lockerer werde, bin ich eine Couch-Potato. Dann habe ich nichts mehr im Griff. Dann ist mein Leben quasi ruiniert. Dann kann ich nicht mehr mitschwimmen.“

Wir müssten unser Alles-oder-nichts-Denken ablegen?
Genau. Wenn ich heute Lust habe, den ganzen Tag die Schlafanzughose anzubehalten, dann kann ich mich doch morgen trotzdem wieder lustvoll in Schale werfen. Es spricht auch nichts dagegen, sich als 50-Jährige sexy und attraktiv zu stylen. Ganz im Gegenteil. Wohlwollender mit seinem Körper umzugehen, bedeutet ja gerade nicht seine Vernachlässigung. Dann habe ich eben ein bisschen mehr Speck an den Hüften, aber ich mag meinen Körper trotzdem.

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