LIEBE & PARTNERSCHAFT

Fremdgehen verzeihen: Kann eine Beziehung Untreue überstehen?

Frau und Mann | © FIZKES GETTY IMAGES
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Ein Seitensprung stellt das Vertrauen des betrogenen Partners auf eine harte Probe – und bedeutet in vielen Fällen das Ende der Beziehung.

Selbst wenn es nur ein einmaliger Ausrutscher war: Wenn der Partner fremdgeht, verändert das die gesamte Beziehung. Lohnt es sich trotz diesem Vertrauensbruch, der Liebe nochmal eine Chance zu geben? Genau das haben wir Paartherapeutin Stephanie Katerle gefragt – und überraschende Antworten erhalten.

Egal ob einmaliger Seitensprung oder Langzeitaffäre: Sexuelle Untreue gilt als einer der häufigsten Trennungsgründe und gehört in Deutschland häufiger zum Beziehungsalltag, als man denkt: Laut einer repräsentativen Studie der Online-Partnervermittlung ElitePartner von 2017 hatten zwölf Prozent der befragten 18- bis 69-jährigen Internetnutzer schon einmal Sex außerhalb der Beziehung – ohne Wissen ihres Partners. Laut den Ergebnissen der Umfrage sind Männer häufiger untreu: Immerhin zwölf Prozent gaben an, fremdgegangen zu sein – bei den Frauen waren es acht Prozent. Die jährlich in den USA durchgeführte, repräsentative „General Social Survey“ der University of Chicago kommt sogar zum Ergebnis, dass 20 Prozent der verheirateten Männer und 13 Prozent der Frauen 2017 außerhalb der Ehe Sex hatten.

Seitensprünge – ein immer häufigerer Trennungsgrund?

Um einen Partner für einen One-Night-Stand oder eine Affäre zu finden, muss man heute noch nicht einmal vor die Haustür gehen: Casual-Dating-Websites und Smartphone-Apps wie Tinder machen es immer einfacher, sich in ein schnelles Liebesabenteuer zu stürzen. Und danach sehnen sich offenbar nicht nur Singles: Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens GlobalWebIndex sind 42 Prozent der Tinder-User in festen Händen, 30 Prozent sogar verheiratet – und nutzen die Dating-App demnach, um sich nach einem Flirt oder Seitensprung außerhalb ihrer Beziehung umzuschauen.

Warum aber gehen Menschen, die eigentlich bereits einen Partner gefunden haben und in einer festen Beziehung sind, fremd – und kann die Liebe die Untreue eines Partners verkraften? Diese und weitere Fragen haben wir Stephanie Katerle gestellt: Die Paartherapeutin hat sich intensiv mit dem Thema Fremdgehen auseinandergesetzt und kommt in ihrem Buch „Seitensprünge“ zu dem Schluss, dass Untreue nicht zwangsläufig ein Grund ist, sich zu trennen.

Autorin Stephanie Katerle und ihr Buch | © PRIVAT/KLETT-COTTA
Stephanie Katerles Buch „Seitensprünge: Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss“ ist Anfang 2018 bei Klett-Cotta erschienen.
Foto: PRIVAT/KLETT-COTTA

DONNA Online: Für viele ist ein Seitensprung der größte Vertrauensbruch in einer Beziehung. Sie plädieren dennoch dafür, dass Untreue kein Trennungsgrund sein muss. Warum?
Stephanie Katerle: In meinem Buch „Seitensprünge“ vergleiche ich den Untreuefall mit einem Blitzeinschlag im gemeinsamen Haus. Ein solcher Untreue-Zwischenfall kann vieles zerstören und die Beziehung gefährden. Paare haben dann die Entscheidung zu treffen, ob sie das gemeinsame Beziehungshaus weiter zusammen bewohnen oder es verlassen wollen. Bei ersterer Entscheidung, also dem Entschluss, es noch einmal zu versuchen, kommt Arbeit auf das Paar zu. Sie müssen wieder Vertrauen aufbauen und sich mit den Themen auseinandersetzen, die bisher nicht genug Aufmerksamkeit bekommen haben. Dann kann das Beziehungshaus wieder in neuem Glanz erstrahlen – diesmal mit Blitzableiter, also im übertragenen Sinne der Sicherheit, was zu tun ist, wenn einer von beiden fremdbegehrt. Wer sich zur Trennung entschließt, sollte dennoch analysieren, wie es zum Riss in der Beziehung kam. Sonst passieren die gleichen Fehler in neuen Beziehungen vielleicht immer wieder.

Bedeutet es automatisch, dass man seinen Partner nicht mehr liebt, wenn man sie oder ihn betrügt?
Definieren Sie Liebe: Ist Liebe die erotische Anziehung und die Attraktivität des anderen? Oder diese undefinierbare seelische Anziehung, die man zum Lebensmenschen verspürt? Oder ist Liebe vielleicht auch die Liebe zu einem gemeinsamen Leben mit Familie, Freunden und Heimat? Die meisten Fremdgänger behaupten, dass sie ihre Partner noch lieben. Sie möchten die meisten Aspekte ihres Zusammenlebens eigentlich behalten. Doch auf irgendeiner der drei Ebenen hat es eine Aufmerksamkeitslücke gegeben; etwas ist nicht ausreichend beachtet und gepflegt worden. So passieren Seitensprünge und Affären. Mein Plädoyer geht dahin, in einem solchen Fall nicht gleich alles über Bord zu werfen, was eigentlich noch erhaltenswert ist.

Was sind die häufigsten Ursachen für Seitensprünge? Und: Haben Männer und Frauen unterschiedliche Motive, wenn sie fremdgehen?
Männer und Frauen haben in ihrem Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung und der Sehnsucht, begehrt zu werden, wenig grundsätzliche Unterschiede. Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, leidet die Beziehung. Lösungsgespräche verlaufen aber oft im Kreis, die Partner geben irgendwann resigniert auf. „Es ändert sich ja doch nichts.“ Dann wird es riskant. Meine Beratungspraxis lässt da eine Tendenz erkennen, die besagt, dass sich Männer früher und zielorientierter Nebenschauplätze aufmachen, Frauen erst bei größerer Unzufriedenheit und dann auch mit dem Risiko, alles aufs Spiel zu setzen.

Gibt es einen typischen Fremdgänger bzw. eine typische Fremdgängerin?
Nein, das würde ich nicht sagen. Frauen sind genauso talentiert im Lügen und Betrügen wie Männer, Alte genauso wie Junge, Gebildete ebenso wie Ungebildete. Klar ist: Wer beruflich mehr unterwegs ist und viel Geld hat, kann sich durch käufliche Angebote die eigene sexuelle Lust erfüllen. Das tun fast nur Männer. Frauen hingegen vermischen manchmal Freundschaften mit Erotik und bauen Parallelbeziehungen auf.

Macht es auch dann Sinn, die Beziehung retten zu wollen, wenn der Seitensprung kein Ausrutscher, sondern eine mehrmonatige Affäre war oder der Partner wiederholt fremdgeht?
Je länger eine Affäre dauert, desto schwieriger wird es, dem Hauptpartner zu erklären, dass man bleiben will und ihn oder sie exklusiv liebt, das leuchtet sicher jedem ein. Außerdem bauen sich in längeren Affären Verbindlichkeiten und emotionale Bindungen auf, die ein One-Night-Stand nicht bietet. Diese zu lösen, um zum Ursprungspartner zurückzukehren, ist oft sehr schwierig. Dennoch können Ehen auch nach langen Affären wieder neu starten und besser werden.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte für Paare, die es nach dem Seitensprung eines Partners nochmal miteinander versuchen wollen?
Offenheit, Offenheit, Offenheit. So einfach das klingt, so schwierig ist das in Wirklichkeit. Ehrlichkeit ist die mindeste Art von Respekt, die ein betrogener Partner verdient. Keine Schonung, sondern ehrliches Eingestehen von Defiziten und Bedürfnissen. „Mir fehlt…“, „Ich wünsche mir…“ und zwar nicht nur vom Fremdgänger selbst, sondern auch vom betrogenen Partner. Beide sollten mit offenen Karten spielen und mit viel Mut alles auf den Tisch bringen, was aufgeräumt gehört. In langen Gesprächen und mit Geduld bringen Partner so Ordnung ins Chaos. Nur mit dieser Ordnung und mit verändertem Umgang miteinander kann es für beide gut weitergehen.

Wann ist eine Paartherapie sinnvoll – und wie gehen Sie bei „Fremdgeh-Fällen“ als Paarberaterin vor?
Paartherapien sind grundsätzlich immer sinnvoll. Man sollte sie am besten prophylaktisch wahrnehmen, denn die eine, große Liebe, die ein Leben lang ohne Krisen und ohne Fremdbegehren hält, die gibt es heute nicht mehr allzu häufig. Ehen in Deutschland halten im Durchschnitt 14,5 Jahre. Warum nicht alle fünf Jahre mal mit einem Blick von außen checken, was noch gut läuft und was nicht? Niemand käme auf die Idee, das eigene Auto mehr als zehn Jahre ohne jeglichen Check zu fahren. Mit Ehen machen das viele Leute sehr wohl.

Paaren mit Untreueerfahrung helfe ich dabei, offen miteinander zu reden. Nichts zu beschönigen, nicht immer drumherum zu reden, um sich gegenseitig in der Komfortzone zu belassen. Veränderungen sind manchmal anstrengend. Man muss umdenken. Und das tut man nicht gern im Zweiergespräch. In der Moderation sorge ich für klare Verständigung und federe Härten ab. So fließen Informationen endlich wieder. Aha-Erlebnisse stellen sich ein. „Ach, SO siehst du das?“ und schon macht es bei vielen Paaren „klick“.

Zum Abschluss noch eine Grundsatzfrage: Ist das Konzept von ewiger Liebe mit sexueller Treue Ihrer Meinung nach noch zeitgemäß?
Fast alle Menschen haben insgeheim die Sehnsucht nach einer exklusiven Zweierbeziehung. Sie finden dort ihren sicheren Platz in einer Welt, die in Individualitäten zersplittert. Digitalisierung, Globalisierung und Technisierung allgemein rauben uns die kuschelige Sicherheit eines für immer sicheren Nests. Ehen währen kurz, das Angebot ist groß, Verliebtheit ist der Zustand, den alle wollen, aber dauerhafte Beziehungen sind nun einmal mit der Zeit auch gelegentlich langweilig. Alle wissen, dass es in langen Beziehungen Anfechtungen und Krisen gibt. Doch die romantische Vorstellung einer Zweierbeziehung lässt solche Gedanken nicht zu. „Das passiert allen anderen, aber uns doch nicht!“ Meine Idee dazu ist nicht, die Monogamie über Bord zu werfen. Wir hängen an ihr. Mein Motto ist eher: „Machen wir uns nichts vor, sondern das Beste daraus!“ Ich nenne das „aufgeklärte Monogamie“. Nicht die Augen vor dem Erwartbaren zu verschließen, sondern offen zu verhandeln, was im Falle des Falles passieren soll. Dann wird ein Untreuefall als Unfall, aber nicht als Katastrophe wahrgenommen.

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