Narzisstisch veranlagte Menschen stellen für ihr Umfeld eine Herausforderung dar – insbesondere dann, wenn es sich dabei um die eigenen Eltern handelt: Wie eine Tochter ihre selbstverliebte Mutter erlebte und welchen Weg sie aus der belastenden Familiensituation fand, lesen Sie hier.
Krankhafte Narzissten kompensieren ihr mangelndes Selbstwertgefühl meist, indem sie sich stark auf sich selbst fokussieren und gerne im Mittelpunkt stehen. Unter diesem Verhalten leidet nicht nur der Narzisst selbst, sondern auch sein soziales Umfeld. Noch belastender wird die Situation, wenn es sich bei dem Narzissten nicht nur um einen flüchtigen Bekannten, Nachbarn oder Arbeitskollegen handelt, sondern den Partner oder ein Familienmitglied.
Typischerweise geht eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit mangelnder Empathie und verletzendem Verhalten gegenüber anderen Menschen einher. Sind Mutter oder Vater narzisstisch, prägt die Selbstverliebtheit auch den Nachwuchs und dessen soziale Kontakte – und zwar nicht nur in der frühen Kindheit, sondern in vielen Fällen bis ins Erwachsenenalter hinein.
Wie sich die Erfahrung, eine narzisstische Mutter zu haben, auf das eigene Privatleben auswirkt und welche möglichen Auswege es aus dieser schwierigen Situation gibt, beschreibt Karin Dietl-Wichmann in ihrem Buch „Mamma Mia“. Neben narzisstischen Müttern befasst die Autorin sich darin auch mit anderen gestörten Form der Mutter-Tochter-Beziehung. Fallbeispiele, Erfahrungsberichte und Tipps rund um das oftmals konfliktreiche Verhältnis zwischen Mutter und Tochter helfen dabei, die eigene Mutter und sich selbst besser verstehen zu lernen.
DONNA Online gibt einen exklusiven Einblick in das Buch – mit einer Leseprobe zu narzisstischen Müttern und ihren Töchtern:
In der griechischen Mythologie ist Narziss der Sohn des Flussgottes Kephisos und der Nymphe Leirope. Weil er so schön ist, wird Narziss von Männern und Frauen umworben, die er aber alle verschmäht und zurückweist. Narziss wird deshalb von der Göttin Nemesis mit unstillbarer Selbstliebe bestraft. Beim Trinken aus einem See verliebt er sich in sein Spiegelbild und ertrinkt bei dem Versuch, sich selbst zu umarmen. Eine wunderbare Parabel, die uns – wie so viele der antiken Sagen – auch in der Gegenwart noch etwas sagen kann.
Ich, ich, ich. Narzisstische Menschen leben in ihrer eigenen Welt. Die amerikanische Familientherapeutin Dr. Karyl McBride wuchs selbst mit einer narzisstischen Mutter auf. In ihrem Buch Werde ich jemals gut genug sein? schreibt sie, narzisstische Mütter würden ihre Töchter lehren, nur dann geliebt zu werden, wenn sie sich den mütterlichen Erwartungen und Launen entsprechend verhalten. „Wenn diese Mädchen erwachsen werden, fällt es ihnen oft schwer, Gefühle der eigenen Unzulänglichkeit, ihre Enttäuschung, ihre emotionale Leere und ihre Traurigkeit zu überwinden, und manchmal haben sie auch Angst davor, verlassen zu werden. Deshalb halten sie oft an Liebesbeziehungen fest, die sie nicht glücklich machen. Sie entwickeln einen Hang zum Perfektionismus, zu unablässiger Selbstkritik oder zur Selbstsabotage und Frustration. Narzisstische Mütter sind oft Frauen mit geringem Selbstwertgefühl.“
Viele von ihnen haben ihre Kinder nur bekommen, um von ihnen die für sie lebensnotwendige Bestätigung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Dafür arbeiten sie mit den raffiniertesten Mitteln. Alles darf sich nur um sie drehen. In ihren Fantasien glauben sie, besonders zu sein. Sie sind der Ansicht, sich nur mit einzigartigen Menschen umgeben zu dürfen. Sie fordern Bewunderung und haben ein überhöhtes Anspruchsdenken. Gegenüber anderen Menschen ist ihr Verhalten ausbeuterisch. Mangel an Empathie, Neid auf andere und eine nicht zu bremsende Arroganz – all das wird Narzissten nachgesagt. Kurzum: Angenehme Zeitgenossen sind sie nicht.
Und sie sind schwer zu therapieren. Wen das Unglück einer narzisstischen Mutter trifft, der sollte sich warm anziehen – und sich eine gute Portion Selbstbewusstsein zulegen. Denn: Diese Mutter wird alles daransetzen, immer im Mittelpunkt zu stehen und alles, was die Tochter sagt, tut oder vorhat, kleinzureden. Narzisstische Mütter lieben das Gefühl, Macht und Kontrolle über ihre Kinder auszuüben. Sie sehen den Nachwuchs nicht als eigenständige Persönlichkeiten, sondern als Erweiterungen ihrer selbst. Besonders Töchter bieten sich hervorragend als Projektionsflächen an. Weil die Mutter nichts wirklich tief empfinden kann und keinen Zugang zu den Gefühlen ihrer Tochter hat, überträgt sie ihr eigenes Gefühl von Wertlosigkeit auf den Nachwuchs. Wie sehr sich dieser auch bemüht, nie ist es genug.
Diese Überzeugung setzt sich fest und manifestiert sich in Töchtern, die extrem leistungsorientiert sind und zur Perfektion neigen. Sie schaffen viel, für sich selbst aber nie genug. Oder die Mutter „produziert“ damit Töchter, die zur Selbstsabotage neigen, weil sie früh verinnerlicht haben, dass sie sowieso nie gut genug für die Mutter sind.
Heike W. (41) hat sich als kleines Mädchen von ihrer Mutter nicht geliebt gefühlt. „Sie hat mich nie in den Arm genommen oder mit mir gekuschelt. Wenn ich zu ihr ins Bett schlüpfen wollte, weil ich schlecht geträumt hatte, hat sie mich geschimpft und zurückgeschickt. Bei Elternabenden, so hat es mir die Mutter meiner Freundin erzählt, hat sie nur darüber gesprochen, wie viel sie für mich tun müsse. Welche Zeit sie opfere und dass niemand das anerkenne.
Sie hat mit ihrem Job angegeben – Ma war Chirurgin –, und Gespräche, die sie nicht interessierten, hat sie möglichst rasch abgewürgt. Einmal habe ich sie gefragt, ob sie eigentlich glücklich war, als sie mich zum ersten Mal im Arm hatte. Sie hat den Kopf geschüttelt und abschätzig gesagt: ‚Du warst ein hässliches Baby, und ich hatte große Schmerzen bei dieser Geburt. Wie kann man denn da glücklich sein?‘ Als ich ihr einmal sagte, dass ich so gern noch ein Brüderchen hätte, war ihre Antwort: ‚Die Erfahrung mit dir reicht mir. Außerdem ruinieren Schwangerschaften die Figur!‘“ Heike fühlte sich viele Jahre lang hässlich. Ihr Selbstwertgefühl war unter null. Als sie sich zum ersten Mal verliebte und der Junge sie eines Abends von zu Hause abholte, meinte ihre Mutter: „Das ist doch ein wirklich hübscher Typ! Was der nur an dir findet?“
Heike, die Apothekerin wurde, hatte viele Jahre schwere Depressionen. Da sie an der Quelle saß, hatte sie stets Zugriff auf die bunte Palette der Psychopharmaka. Jahrelang warf sie rote, grüne oder gelbe Kügelchen ein. Bald sah sie die Welt nur noch durch einen Schleier. Ihre Umgebung bemerkte wenig. Wenn doch, so schwiegen alle. Eines Tages, am Morgen nach einer feuchtfröhlichen Feier ihres 37. Geburtstages, brach sie zusammen. Ihre Mutter fand sie und alarmierte die Rettung. „Medikamentenmissbrauch“, konstatierten die Ärzte im Krankenhaus. „Nicht mal einen ordentlichen Selbstmord würde ich fertigbringen, sagte meine Mutter verächtlich. Von meinen Freunden ließ sie sich als meine Retterin feiern! ‚Wenn ich nicht gewesen wäre‘, sagte sie an meinem Krankenbett, ‚würde ich jetzt an deinem Grab weinen!‘ Ich war zu schwach, um eine entsprechende Antwort zu geben. Nur eines wusste ich: Auch das hätte sie zur großen Show gemacht!“
Heike machte nach einer Entgiftung eine Therapie. Sie kündigte ihren Job und zog in eine andere Stadt. Die Adresse hinterließ sie nur den Menschen, denen sie vertraute. Ihre Mutter war nicht darunter. Die Psychologin und Therapeutin Susan Forward, die ebenfalls unter einer narzisstischen Mutter gelitten hat, weiß: „In derartigen Fällen hilft nur ein völliger Kontaktabbruch. Nur selten führt ein Weg zurück. Zu ausgeprägt ist die Empathielosigkeit bei diesen Müttern – und ihre Sucht, im Mittelpunkt stehen zu müssen. Narzissmus ist nur schwer zu heilen. Einsichten, die dazu erforderlich wären, sind meistens nicht vorhanden.“ Susan Forward selbst allerdings ging nach Jahren wieder auf ihre Mutter zu.
Sybille Karsten (29) wuchs ebenfalls mit einer narzisstischen Mutter auf. Dass sie die nur um sich selbst kreisende Frau recht unbeschadet überstanden hat, verdankt sie ihrem Freund. Volker (31) musste sich mit einem narzisstischen Vater herumschlagen. Die Ehe seiner Eltern wurde geschieden, als Volker zwölf Jahre alt war. Volkers Vater ist ein bekannter Schauspieler, und sein Sohn bewunderte ihn damals noch sehr. Auch nach der Scheidung hielt er die Verbindung zu ihm aufrecht. Erst später erkannte Volker die zerstörerische Veranlagung seiner Vaters und begab sich in eine Therapie. Von dort brachte er viel Know-how mit, wie man auch Sybille helfen konnte. „Er hat mich in meinem wackeligen Selbstbewusstsein gestärkt. Hat mir die Krankheit meiner Mutter erklärt. Mir geschildert, wie es mit seinem Vater war, und dass es nicht herzlos ist, den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen.“ Sybille zog mit ihrem Freund nach Berlin. Obwohl ihr die Mutter fehlte, stoppte sie Volker immer wieder, wenn sie im Begriff war, sie anzurufen.
Es verging ein Jahr. Dann kam ein Brief aus Köln. „Ich habe eine wunderbare Psychiaterin gefunden. Endlich kann ich begreifen, was ich dir angetan habe. Darf ich dich und Volker besuchen?“ Der erste Kontakt nach diesen langen Monaten war tastend und vorsichtig. Beide, Sybille und ihre Mutter, waren sehr unsicher. Zum ersten Mal schloss Sybille ihre Mutter in die Arme, ohne dass diese sie wegschob. Als Sybille im Überschwang der sich endlich gut anfühlenden neuen Beziehung ihrer Mutter vorschlug, doch nach Berlin zu ziehen, griff Volker ein. „Ihr solltet nichts überstürzen! Lasst euch Zeit. Haltet noch ein wenig Abstand. Ihr verliert euch doch nicht!“ Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Sybilles Mutter lebt jetzt in Berlin. Sie hat Volkers Vater bei einer Filmpremiere kennengelernt. Und: Kitsch as Kitsch can – sie haben sich ineinander verliebt. Die Frage ist allerdings: Wer gewinnt das lustige Dominanzspiel?
Text © 2018 Karin Dietl-Wichmann
Mehr Erfahrungsberichte, Fakten und Anekdoten über Mütter und Töchter finden Sie im Buch „Mamma Mia“ von Karin Dietl-Wichmann:
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